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Die Paleo-Doppelmoral

Jan 0
geschätzte Lesedauer: 3 Minuten

Am Wochenende war ich mit Kriszta auf der Paleo Convention 2015 in Berlin. Wir fuhren früh um 6 Uhr los, um 10 Uhr in Berlin zu sein und dann noch zwei Stunden Zeit zu haben, um unseren Stand aufzubauen. Von 12 bis 19 Uhr verkauften, berieten und unterhielten wir uns mit den Kunden und Interessenten. Danach bauten wir ab, gingen ins Hotel und folgten der Einladung zur After-Show ins Sauvage. Dort sollte uns ein Abendessen erwarten – wir wurden mit einem Cocktail begrüßt.

Ein Cocktail? Alkohol bei Paleo? Irgendwie bröckelte alles in mir zusammen, was ich über Paleo wusste. Im Verlauf des weiteren Abends sah ich etliche Leute ein Bier trinken und probierte es, weil ich dachte – na vielleicht ist es ein glutenfreies Bier. Nein, weit daneben. Meine Frau wurde immer etwas schräg angesehen, als sie die Idee ihres Shop wie folgt äußerte „Ich verkaufe Produkte, die es Paleo-Anhängern ermöglicht, Paleo konsequent durchzuziehen und trotzdem abwechslungsreich zu gestalten – ohne Cheat-Days.“

Dazu muss man wissen, dass viele der deutschen Paleo-Anhänger folgendem Grundtenor folgen: „Ich halte mich an die Paleo-Regeln, gönne mir aber ab und zu Ausnahmen. Zu Paleo gehören Fleisch, Obst und Gemüse – ökologisch und regional.“ Gegen letzteres ist nichts einzuwenden, im Grunde hat das aber nichts mit Paleo zu tun, sondern sollte eine vernünftige Grundeinstellung sein. Das Problem daran – ich empfinde es als Widerspruch zu sagen, dass man Paleo macht, aber selbst auf einer großen Veranstaltung dann auch noch seine „Ausnahmen“ öffentlich zelebriert. Man hätte sich auch am Dönerstand treffen können.

Grund für meine Polemik ist das Verhalten einiger Gäste an unserem Stand am Wochenende. Schon von weitem konnte man sehen, dass die Nase gerümpft wurde „Die bieten Mehl und gebackene Sachen an, dass ist doch garnicht Paleo.“ Dass es sich um Mehl aus Nüssen und ähnlichen von Paleo erlaubten Zutaten ist, lasse ich hier mal außer acht. Die Krönung erreichten wir am Sonntag als einer der besagten Kritiker sich unserem Stand näherte und anfing: „Also hier ist ein Tippfehler drauf, sowas kauf ich schon mal garnicht – nur als Hinweis!“ Er bewegte sich weiter Richtung unserer Nudeln, studierte aufmerksam das Etikett und stellte fest: „Eier aus Bodenhaltung? Da könntet ihr mal dem Hersteller sagen, er könnte auch Eier aus Freilandhaltung nehmen. So viel mehr kostet das auch nicht.“ Letzte Station war das Biltong (Trockenfleisch). Dort blieb er mit dem Kommentar stehen „Sowas mach ich mir selbst, ich kaufe bei einem Metzger, wo ich weiß, wo die Tiere herkommen.“ Natürlich hatte er alles, was wir anboten probiert. Er verschwand mit den Worten „Ich komm später nochmal wieder und kaufe was“ und ward nie wieder gesehen.

Genau dieses Verhalten spiegelte sich das gesamte Wochenende wider. Um den Mitveranstalter Leon zu zitieren „Man sollte einfach versuchen, so naturbelassen, artgerecht und regional wie möglich zu essen“. Aber schon im nächsten Satz wird diese Aussage relativiert „Er selber gönnt sich ab und zu auch mal Fast Food und einen guten Drink.“ WTF? In meinen Augen sind diese Paleo-Anhänger irgendwelche Hipster, weil vegan macht ja jetzt jeder und da braucht man eine neue Nische um bloß nicht Mainstream zu sein. Aber mit Paleo an sich hat dieser Lebenswandel gar nichts zu tun. Er verkauft sich aber besser, denn Worte wie „Genießen, regional und ökologisch“ verkaufen sich besser wie „ohne Gluten, Zucker und Laktose, aber konsequent“. Heinrich Heine schrieb in „Deutschland. Ein Wintermärchen“ irgendwie treffend:

Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.

Nur hier wird nicht heimlich Wein getrunken, sondern Wein gehört zum „Genießen“. Kriszta zeigt mir von Zeit zu Zeit Diskussionen, wo die Regeln so lange gebogen werden, bis man die Fehlernährung hinreichend verargumentiert hat, um sie als regelkonform zu erklären. Beispiel gefällig? Nehmen wir doch den Wein. „Wenn damals in der Steinzeit die Früchte vom Baum gefallen sind und die anfingen zu gären, dann wurden die ja auch noch gegessen – also kann Wein ja nichts schlimmes sein.“ Kommt man dort mit Mehlen, die aus Nüssen hergestellt werden, sagen die selben Leute „Geht gar nicht! Zu viel Nüsse sind ungesund!“ Zählt man die Fakten auf, z.B. dass man ja nicht gleich ein ganzes Brot isst, sondern immer mal eine Scheibe zu Ergänzung oder zum Nachdenken anregt, was denn wohl der Steinzeitmensch im Winter gegessen hat, wenn nicht Nüsse, stößt man auf taube Ohren. Das ist wie mit einem Veganer über einen Fleischtag zu diskutieren. Den gibt es da nicht, weil es nicht zur Ernährung gehört. Punkt. Aus. Ende. Ohne weitere Diskussion. Und deswegen meine Bitte an die Paleo-Welt: Seid doch endlich mal konsequent!

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