Was braucht man alles an Musik für den Sommer? Eine Compilation, die man bei Sonnenuntergang am Strand hören kann. Tanzbare Musik für die Clubnacht, die aber nicht zu heftig ausfällt. Ein Album zum Hören, Analysieren und Grübeln. Ich denke Im Orbit Juli 2022 hat von jedem etwas dabei.
Aikon – Legends EP
Wie soll ich die Geschichte von einer EP beginnen, die irgendwo mitten einer Pandemie beginnt und aus einer Stadt kommt, in der Krieg herrscht? Vielleicht beginne ich am besten mit dem Künstler. Aikon veröffentlicht am 1. Juli seine Legends EP auf Renaissance Records.
Er kommt aus Kyiv und beschreibt den Sound, den er auf dieser Platte zusammengefasst hat folgendermaßen: Aikon saß in einem Café und trank einen Tee und schaute dem Treiben auf der Straße zu. Damals als Kyiv noch eine frohe und lebendige Stadt war. Dieses Gefühl hat er mit ins Studio genommen und zu vier Tracks zusammen gefasst.
Aikon hat eine Schwäche für Broken Beats, die sich wie ein roter Faden durch die gesamte EP ziehen. Dazu kommen Vocoder und Moog-Synths, was dem Ganzen noch einen einen Hauch von Computerspiel verpasst. Definitiv der herausragende Track ist der Titelsong Legends, von dem es dann auch noch einen Remix von Radeckt ging, der aber leider etwas hinter dem Original zurückbleibt.
Hyenah – Love In Times Of Crisis
In der Musik sollte es nicht darum gehen, woher sie kommt, wer sie macht und von wem sie gehört wird. Bei Musik geht es darum, ein gemeinsames Gefühl zu entwickeln. Ein Wir in der der Musik. So, damit sich der Hörer abgeholt fühlt, egal ob er in Durban, Tokio, Kopenhagen oder Sao Paolo sitzt.
Diesen Gedanken treibt der/die Künstler*in Hyenah an, deren/dessen Album Love In Times Of Crisis am 1. Juli auf RISE erscheint. Ich habe bewusst eine neutrale Form gewählt, da sich die/der Künstler*in in einem Visor verbirgt. Er oder sie hat sich mit befreundeten Künstler*innen zusammengetan und ein globales Gefühl für elektronische Musik entwickelt.
Die Künstler kommen aus Schweden, USA, Südafrika oder den Niederlanden, um nur einige zu nennen. Und damit wird die Musik vielfältig, aber nicht beliebig. Für einen Moment bin ich wieder zurück in den frühen 90ern, dann ergreift mich ein Hauch von Lounge, aber immer mit einem gewissen Fokus auf afrikanische Rhythmen.
Mauro Venti – Sirens EP
Also ein bisschen neidisch bin ich schon. Jetzt noch mal Mitte 20 sein, mit den ganzen Möglichkeiten, die man jetzt hat. Verglichen mit den frühen 90ern war elektronische Musik machen damals wie Buchstaben auf Steintafeln ritzen. Deswegen darf House jetzt auch komplexer und vielschichtiger sein, ohne den primären Fokus zu verlieren – den Dancefloor.
Zum Glück gehört der Italiener Mauro Venti zu den jungen, aufstrebenden Künstlern, welche die Musik von damals entdecken dürfen und sich mit heutigen Mitteln ihre Gedanken dazu machen können. Mit der Sirens EP, die am 8. Juli auf Hot Creations erscheint, bedient sich Mauro vielen Vocals und einer intensiven Bassline, belässt es aber dabei, damit die Songs nicht zu überfrachtet sind.
So entstanden drei Tracks, die sich im oberen Tempobereich des üblichen House befinden. Für mich wirkt es so, als würde schon fast ein Hauch Progressive in der Luft liegen, den die Vocals verströmen, aber gleichzeitig auch wieder nicht. Ich würde gern noch mehr Worte des Lobes finden. Aber für einen Künstler, der gerade am Anfang seiner Karriere steht, möchte ich es genau so effektiv, aber simpel halten, wie er. Also: Weiter so!
Serge Devant – Hush Hush EP
Hush Hush zu übersetzen ist relativ simpel, da es im Deutschen die gleiche Bedeutung hat. Aber was der Titel mit der Musik zu tun hat, erschließt sich mir noch nicht. Die EP mit ihren drei Tracks, die am 8. Juli auf Crosstown Rebels erscheint, hat ziemlich wenig mit husch husch zu tun.
Hinter der Musik steht der New Yorker Serge Devant, die diese Songs über einen Zeitraum von sieben Jahren zusammengestellt hat. Das Urgestein ist dabei der Opener Flashback, der aus dem Jahr 2015 kommt. Aber zurück zur Musik. Die hat zwar eine gute Pace, wirkt aber so entspannend, wie eine warme Dusche nach einem langen Tag.
Vielleicht ist für den ein oder anderen diese Musik zu monoton und langweilig, aber mich versetzt sie eine Art hypnotischen Zustand. Dann schaltet mein Geist in den Leerlauf, was von Zeit zu Zeit wirklich sehr erholsam ist. Und vor diesem Hintergrund ist dieser Release einfach großartig.
La Torre Ibiza – Volumen Cuatro
Es gab mal eine Zeit, wo Chillout nicht unbedingt elektronisch sein musste. Wo die Schnittmenge zum Downtempo-Bereich ziemlich groß war. Bestes Beispiel ist die Serie „Café del Mar“. Ich glaube, es gab knapp über 10 CDs, welche die Stimmung im gleichnamigen Laden auf Ibiza einfangen sollte. Im Laufe der Zeit wurde die Compilation immer elektronischer und es wurde mehr zu After Hour.
Und jetzt bekomme ich diese wunderschöne Compilation namens La Torre Ibiza – Volumen Cuatro, die am 1. Juli auf Hostal La Torre Recordings erscheint und die Welt scheint wieder in Ordnung. Hier ist noch alles vertreten, entspannte afrikanische Rhythmen, ein beruhigend perlendes Klavier, ein Track, der genauso gut hätte von den Pet Shop Boys kommen können und auch modifizierte Gitarren.
Zu verdanken haben wir diese Compilation den Herren Mark Barrott und Pete Gooding, die versuchen mit der vierten Ausgabe wieder den Moment, wo der Tag sich dem Ende neigt und sich der Sternen übersähte Nachthimmel aufspannt, so lang wie möglich hinauszuzögern. Dabei helfen unter anderem Tracks von den Golden Girls, einem Nebenprojekt von einem der Hartnoll-Brüder (The Orbital), Special Request aka Paul Woolford und Robin Guthrie. Und ganz ehrlich – so viel Schönheit macht mich sprachlos.
Drizzy Sam Feat. OHP Sage + Puntsa –
Uthando Lungihlulile (Kintar Remix)
Das Original von Uthando Lungihlulile ist mir leider unbekannt, aber ich stelle es mir als emotionalen Popsong vor. Am 22. Juli erscheint nun der Kintar Remix des Track, der im Original von Drizzy Sam Feat. OHP Sage & Puntsa kommt. Als Label bedient sich Kintar seines eigenen Labels Sudam Recordings. Ich stelle mir den Song wie einen Tagesanbruch vor. Ihm hängt noch die Schwermütigkeit nach, die hier durch die Vocals kommen. Gleichzeitig spürt man schon die Energie der aufgehenden Sonne. Leider liefert Kintar nur eine Version ab, sodass es nur ein sehr kurzer Moment der melancholischen Euphorie ist.
Stephan Bodzin –
Tron – Caligula – Marathon Man – The Remixes
Ich finde es schön, dass Systematic als Label mittlerweile hier einen festen Platz bei Im Orbit gefunden hat. Deswegen freue ich mich einen neuen Release von Stephan Bodzin ankündigen zu dürfen, der am 22. Juli erscheint. Es handelt sich um die Remixe der Tracks Tron, Caligula und Marathon Man. Da es drei Remixe von Tron gibt, hat diese Scheibe die Bezeichnung EP redlich verdient.
Ich denke Stephan Bodzin ist jemand, den man nicht groß vorstellen muss. Meine Sammlung reicht zurück bis ins Jahr 2006, wo Pendulum auf Spielzeug Schallplatten erschien. Natürlich dürfen die Remixe zu seinem Album Boavista da nicht fehlen. Auf der Tron – Caligula – Marathon Man – The Remixes finden sich Neuauflagen von Raxon, Fedele, Mathew Jonson, Elax und Hannes Bieger.
Das Thema von Tron ist zu intensiv, als dass es einer der drei Remixe unter den Tisch fallen lassen könnte. Dabei ist die Herangehensweise doch so unterschiedlich, dass drei komplett unterschiedliche Tracks entstanden sind. Es ist mir extrem schwer gefallen, einen speziellen Favoriten herauszupicken, da jeder Track etwas Spezielles mitbringt. Mir gefällt der Fedele Remix bis zum Break, der Mathew Jonson Remix für den minimalen Ansatz, aber auch den Hannes Bieger Remix. Der wollte den alten und neuen Stil, aber auch eigene Einflüsse in den Remix einfließen lassen, was extrem gelungen ist.
Jonathan Kaspar – Umfang EP
Wenn ich schon mal bei deutschen Labels bin, freue ich mich um so mehr, hier einen Kompakt Release in die Hände zu bekommen. Erscheinen wird die Umfang EP am 22. Juli. Dahinter steht der Bonner Jonathan Kaspar, der auch als Resident im Club Gewölbe auflegt.
Mit der Umfang EP wollte Jonathan die Wünsche die er an eine postpandemische Phase gehegt hat mit der Realität kombinieren. So tragen die vier Tracks sehr unterschiedliche Handschrift. Es gibt den euphorischen Umfang, das subtile, aber intensive Kupfer, das minimalistische Am Raster und letztlich das beruhigende Gemach, Gemach Herr Rabe, das lediglich durch das Krächzen der Raben aufschreckend wird.
Mit der Umfang EP veröffentlicht Jonathan Kaspar sein drittes Werk auf Kompakt, was gleichzeitig seine erste Solo-Veröffentlichung auf dem Label seit März 2021 ist.
Miraclis – Origin Of Truth
Zugegeben, eine Miraclis habe ich jetzt übersprungen. Nachdem ich die erste Auskopplung aus dem Album Origin Of Truth, was am 29. Juli auf Secret Teachings erscheint, gehört habe, war ich mir noch nicht bewusst, was der Charakter des Albums sein wird. Tanzbare Musik kombinierte sich mit Rock, die Anteile von elektronischer Musik in sich trug.
Für einen kurzen Moment überlegte ich, ob ich das Album zurückhalten soll. Es war mir zu schwermütig, zu viel der Gitarren und der melancholischen Gesänge. Aber nachdem ich die Beschreibung dazu las, änderte sich meine Einstellung zu dem Album. Miraclis gibt an, dass sein Musikgeschmack maßgeblich durch Classic Rock und Trip Hop beeinflusst wurde. Und mir fiel sofort das Album Mezzanine von Massive Attack ein. Auch sehr langsam, auch von Gitarren durchzogen.
Und so konnte ich plötzlich einen Bezug zu diesem Album herstellen. Es war nicht so schwermütig, wie der langsame Beat es glauben machen wollte, sondern eine Referenz an Trip Hop. Von diesem Gesichtspunkt her, fängt das Album an interessant zu werden. Es mag sich nicht wirklich auf einen Stil festlegen, sondern bleibt flexibel. Schon allein diese Analyse hat mich so fasziniert, dass das Album hier erwähnt werden musste.
Luke Brancaccio & Gai Barone – All I Need
Die Erwartungen sind mega hoch! Luke Brancaccio & Gai Barone wagen sich an einen der größten Lounge/Chillout-Klassiker – All I Need vom französischen Duo Air. Und wenn das Label dann noch den überzeugenden Namen Music To Die For trägt, macht das Projekt nicht besser. Erscheinen soll der Release am 29. Juli.
Zu Beginn gehe ich tief in mich, höre innerlich die Stimme von Beth Hirsch, die für den Text und Gesang des Originals verantwortlich war. Mit der Musik von Air kam ich damals nie so klar. Die Album Moon Safari war mir zu LoFi. Doch dann kam All I Need. Ein Song dessen Wärme mich wie eine Decke einhüllte und ein Gefühl von Verständnis und Geborgenheit vermittelte. Wie ich selbst von unzähligen Beispielen weiß, ist die Neuauflage von alten Songs ein heikles Thema. Denn eine Generation, die diesen Titel nie kannte, wird das Original als alt und staubig empfinden, während sich die ältere Generation empört, wie man das Original nur so verschandeln konnte.
Natürlich können solche übertriebenen Erwartungen in der Praxis nur enttäuscht werden. Ich musste den Release zweimal hören. Beim ersten Mal war ich selbstverständlich enttäuscht. Aber mir wurde schnell klar, dass man einen perfekten Song nicht besser machen kann. Aber passend zu meiner Idee des Lebens stirbt nichts solange sich jemand daran erinnert. Aus diesem Grund ist dieser Song auf seine eigene Weise perfekt. Weil er gleichzeitig ein Remake ist, aber den Song komplett neu auffasst. Und das in drei Versionen, die unterschiedliche Facetten widerspiegeln. Im Endeffekt muss ich zugeben, dass ich die Neuinterpretation gut finde.
Millero – Old Friend EP
Der Name Millero ist mir in den letzten Monaten auffällig häufig über den Weg gelaufen. Hinter Millero steht Roy Miller aus Isreal. Der hat mit der Old Friend EP einen neuen Release am 22. Juli auf Renaissance Records in den Startlöchern. Dazu kommt noch, dass Isreal allgemein in letzter Zeit zum Vorreiter elektronischer Musik geworden ist.
Millero gehört auch mit zur Bewegung des Melodic Techno, die in den letzten Jahren enorm an Fahrt aufgenommen hat. Im Track Old Friend verwendet er einen Basslauf, der ziemlich markant ist, in Kombination mit eingängigen Vocal. Mein persönlicher Favorit ist Twisted Mind, der meiner Definition von Melodic Techno wohl am nächsten kommt. Und dazu gesellt sich im Hintergrund noch eine schön echoende 303. Raverherz, was willst du mehr?
Zum Abrunden kommt noch Track Nummer 3 Yeled Gadol, was so viel wie „großer Junge“ bedeutet. Roy Miller sieht sich natürlich als Erwachsenen, dessen Musik mit ihm erwachsen geworden ist. Trotzdem versuchte er mit diesem Track einen Bogen von seiner Vergangenheit zur Gegenwart zu ziehen.
Nightsteppaz & Roland Clark – God Was In The Speakers
Nachdem ich mich in letzter Zeit häufig beschwert habe, dass manche Platten so dürftig mit Titeln ausgestattet sind, ist der neue Release auf Vibe Me To The Moon mit seinen sechs Tracks mehr als genug. Der Titeltrack zu God Was In The Speakers kommt von Nightsteppaz & Roland Clark und wird am 29. Juli erscheinen.
Neben dem eigentlichen Song und einer Instrumentalversion, gibt es noch vier Remixe. Das Original hat schon einen intensiven Bezug zum Dancefloor. Einen richtig fetten Bass, ein hypnotisierendes Vocal und ein Chord, der sagt: Ab auf die Tanzfläche, hier brennt gleich die Hütte. Gleich im Anschluss legt Robert Babicz seinen 303 Remix nach, sehr dezent, aber mit noch etwas mehr Fokus.
Mihai Popoviciu verschiebt den Blickpunkt etwas mehr in Richtung entspanntem Tech House, und auch so funktioniert der Song einfach fantastisch. Leider muss in meinem Review der Remix von Simon Baker etwas zu kurz kommen, denn Nick Devon kocht in einem Break, der knapp über eine Minute geht, die Stimmung richtig hoch und lässt die Bassdrum genau im richtigen Moment auf die Massen los. Das Ergebnis lässt mich wehmütig an Jam & Spoon erinnern, die mit ihrer Version zu Yellos You Gotta Say Yes… ähnliche Feuerwerke zündeten. Aber das nur vom Aufbau, nicht vom Stil.