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Kryptozoospermie – Lernen mit weniger auszukommen

Jan 0
geschätzte Lesedauer: 7 Minuten

Ich hab jetzt die 40 erreicht und das könnte doch eigentlich mal ein geeigneter Zeitpunkt sein, um über Männerprobleme zu reden. Aber nicht solche, dass das Auto 10 PS zu wenig hat oder dass man keinen Waschbrettbauch mehr hinbekommt. Dafür gibt es monatliche Magazine, die in Hochglanz darüber berichten. Stell dir vor du gehst zum Urologen und der sagt (sinngemäß) zu dir: „Ihre Chance Kinder zu bekommen, ist ungefähr so wie beim Lotto zu gewinnen“. Da hilft dir kein Magazin. Wenn man dann als Internet affiner Mann dann das Netz befragt, stolpert man als erstes über „Mein Mann und ich…“. Gefühlt haben es wohl einer von 10 Millionen und das wo die Realität doch eine ganz andere Sprache spricht. Dabei ist doch Kryptozoospermie ziemlich weit Erektionsproblemen entfernt – also nicht unbedingt ein Thema, was man in den Mantel des Schweigens hüllen müsste.

Die Ursache

Es zog sich schon eine Weile hin, schließlich müssen mehrfache Tests her, bis feststeht: Diagnose Kryptozoospermie. Mit einer gewissen Ironie muss ich ja zugeben, dass es witzig klingt, wenn man als Informatiker Krypto-Probleme hat. Aber im Klartext bedeutet die Diagnose, dass es viel zu wenig Spermien sind und die schlecht oder garnicht beweglich sind. Und richtig kryptisch wird es, wenn der Urologe dich fragend ansieht, weil er keine organische oder hormonelle Ursachen dafür findet.

Da hilft nur ein Anruf bei den Eltern. Mit ein bisschen Glück fällt denen noch ein, dass du einen Hodenhochstand hattest, der zwar mit Hormonspritzen aus Schweden behandelt wurde, nur leider viel zu spät (in meinem Fall: ich konnte schon laufen und sprechen). In dem Moment war ich erstmal beruhigt, weil der unbekannte Faktor aus dem Weg geräumt war, aber das Problem war ja damit nicht gelöst. Leider fiel das meinen Eltern auch erst ein, nachdem mein Blut an das humangenetische Institut gegangen ist, um genetische Defekte auszuschließen – auch hier die beruhigende Antwort: keine Gendefekte, die weitervererbt werden.

Kinderwunsch

Ich habe im Laufe der Zeit meinen Urologen richtig zu verachten gelernt. Nach der ersten Untersuchung hieß es noch „ein bisschen wenig, aber sonst alles im Rahmen“. Als ich ein Jahr später wieder auftauchte, weil der Erfolg immer noch ausblieb und meine Frau einen Termin bei ihrer Ärztin ausgemacht hatte, bat ich, dass die Ergebnisse gleich zur Ärztin gefaxt werden. Als wir dort auftauchten, war kein Bericht da. Während wir im Wartezimmer saßen, gingen 2-3 Anrufe hin und her, offensichtlich gab es Unklarheiten.

Dann wurden wir zur Ärztin ins Sprechzimmer gebeten und sie erklärte uns, dass mein Urologe den Befund nicht herausgeben will, solange er ihn nicht mit mir besprochen hat. Und das, wo ich ausdrücklich um Weitergabe gebeten habe! Ich machte also einen Termin aus. Da wurde ich angeredet, als hätte ich nur noch 2 Wochen zu leben. Als wenige Wochen später dann noch die Arztrechnung eintrudelte, wo das Telefonat mit knapp 20 Euro drauf stand, war für mich klar – einmal und nie wieder zu diesem Arzt.

Wer zahlt für die Behandlung?

Es folgte der erste Besuch in der nächstgelegenen Kinderwunschklinik in Erlangen. Wir hatten uns mit Dr. Hamori einen Arzt ausgesucht, der laut Forenbeiträgen einen guten Ruf hat. Dazu kam noch, dass meine Frau und der Doktor eine Gemeinsamkeit teilen: Sie kommen aus Ungarn. Der erste Besuch war eher ernüchternd als aufbauend. Denn eine ganze neue Dimension an Problemen tauchte auf: Ich bin privat versichert, meine Frau gesetzlich. Nicht nur, dass die Krankenkassen sich gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben wollen, es gibt schon grundsätzliche Probleme mit der Gerichtbarkeit. Die gesetzlichen Krankenkassen handeln nach Sozialgesetzbuch und treten somit vor dem Sozialgericht auf, während die privaten Versicherer in den Gerichtssälen der Zivilgerichte auftreten.

Zum Glück wurden schon unzählige Schlachten ausgefochten und die Quintessenz lautet: Es zahlt die Versicherung von dem, der wo „Schuld“ hat. In dem Fall als meine Kasse. Dr. Hamori setzte schon mal pro forma ein Schreiben auf und ich meldete mich bei meiner Krankenkasse. Es ging aber vergleichsweise reibungsfrei über die Bühne. Nach zwei nachfragenden Anrufen hatte ich nach 3 Wochen das Schreiben meiner KV in der Hand, dass sie die Kosten übernimmt. In gewisser Weise war ich da schon mal erleichtert, denn wir hörten, dass es auch Krankenkassen gibt, die sich da quer stellen und man erstmal eine Weile streiten darf, bevor die Behandlung beginnt.

Vorbereitung für ICSI

Jetzt konnten wir den nächsten Schritt wagen – die Behandlung. Ziemlich lang trugen wir die ganzen Verträge mit uns herum – wir waren verunsichert. Sollten wir der Natur ins Handwerk pfuschen? Ich bin bei sowas immer skeptisch, weil ich glaube, dass Mutter Natur sich schon was dabei denkt – quasi den evolutionären Riegel gegen Überbevölkerung vorschiebt. Dazu kam noch, dass die Praxis im Sommer einen Monat wegen Renovierung geschlossen hatte. Aber als wir begannen, ging alles sehr schnell. Das Schlimme daran ist, dass trotz meiner Unzulänglichkeit meine Frau alles ausbaden muss. Ich half ihr, so gut das in dem Fall möglich ist.

Wir bekamen das erste Rezept mit dem Gonal F 900-Pen. Meine Frau hat furchtbare Angst vor Spritzen, aber das ging spielend einfach – Mit Alkoholtupfer reinigen, Dosis am Pen einstellen, Nadel aufsetzen (die ist ganz dünn!) und dann wie bei einem Kugelschreiber hinten drauf drücken, bis das Klicken aufhört. Die ersten zwei/drei Male übernahm ich das noch, danach hatte meine Frau ihre Angst ein bisschen überwunden und machte es von da an selbst. Ich assistierte ihr nur noch dabei, indem ich alles bereit legte, das Buch führte, Pen einstellte und die Reinigungspads zurecht schnitt.

Nach vier Tagen wurde nach der Untersuchung die Dosis erhöht und wir kauften den nächsten Pen. Dazu folgte parallel zum Pen nach zehn Tagen eine zweite Injektion mit Orgalutran, die wir die nächsten vier Tage durchführten. Die nächste Untersuchung hörte sich gut an – laut Ultraschall wären wohl genügend große Eizellen zu erkennen. Jetzt musste nur noch der Termin günstig gelegt werden, denn laut Dr. Hamori sollten wir die befruchteten Eizellen länger in der Schale lassen, um den Wachstumsstatus zu beobachten.

Ein herber Rückschlag

Letzten Donnerstag war es dann soweit: Punktion. Am Dienstag Abend setzten wir vorher mit Ovitrelle die Auslösespritze. Wir fuhren früh nach Erlangen und setzten uns ins Wartezimmer, wo schon andere Pärchen (bzw. teilweise saßen nur noch die Männer da) trafen. Meine Frau wurde aufgerufen und ca. eine Dreiviertelstunde später ich dran. Mir wurde von der Biologin erzählt, dass meiner Frau 10 Eizellen entnommen wurden – die maximal mögliche Anzahl, die das Blatt hergab. Ich war froh. Meine Spermaprobe sah im Vergleich zu den vorherigen auch gut aus, es konnte losgehen. Ungefähr zwei Stunden nach der Entnahme wurde wir zu Dr. Hamori gerufen. Dort traf uns der Hammer – 10 Eizellen, aber die Spermaprobe enthielt nichts. Wir waren beide wie vor den Kopf gestoßen. Nichts?! Das fühlt sich so ungefähr an, als hätte das Leben mit einem Schluss gemacht.

In mir brach sämtliche Hoffnung zusammen, meine Frau kämpfte mit den Tränen; ich hörte Dr. Hamori nur noch was von „Einfrieren“ und „Später“ reden. Offensichtlich hatte er auch nicht damit gerechnet und man merkte, dass er unsere Verzweiflung ansah. Also schlug er folgendes vor: 2-3 Stunden warten und dann nochmal eine neue Probe abgeben. Wir irrten draußen herum, um einen passenden Platz zum Essen / Ausruhen zu finden. Außerdem konnte meine Frau auch nicht so weit laufen.

Zweiter Versuch am selben Tag

Kurz nach 12 kamen wir wieder – zweiter Versuch. Wir saßen verzweifelt im Wartezimmer, als Dr. Hamori mit hoffnungsvoll hochgezogenen Augenbrauen mit den Worten „Wir haben was!“ aus dem Labor kam. Er erklärte uns, dass es passieren kann, dass bei eingeschränkter Fruchtbarkeit ein zweiter Versuch doch sehr hilfreich sein kann. Jetzt hieß es ein neues Formular ausfüllen, 5 Tage später war der Transfer geplant. Aber bis dahin kam die nächste Mutprobe: „Wie rufen sie morgen zwischen 11 und 13 Uhr an“. Der Medikationsplan ging auch weiter, aber diesmal Zäpfchen.

Zu diesem Zeitpunkt sollte uns mitgeteilt werden, wie viele Eizellen befruchtet waren und wann der Transfer statt findet. Wir warteten und wurden von Minute zu Minute unsicherer. Es war Feiertag. Rufen sie uns an? Heben sie sich die schweren Fälle bis zum Schluss auf? Es wurde 12, halb eins… wir waren inzwischen mit Mittag essen fertig, meine Frau legte sich wieder auf die Couch, als das Telefon klingelte. „Ihr Termin ist morgen“ – „Warum?“ – „Wir haben nur drei Kandidaten“. Das Telefonat mit der Biologin hinterließ mehr Fragen als Antworten. Was war schon wieder schief gegangen? Was war mit den restlichen Kandidaten? Unser Optimismus war nach dem Desaster am Vortag nicht wieder da.

Einsetzung

Als wir Samstag in die Praxis fuhren, hatte Dr. Behrens Dienst. Vorher erklärte uns die Biologin, was mit den Eizellen geschehen war: 10 Eizellen wurden entnommen, aber leider waren fünf zu klein. Zwei weitere hatten nach der Befruchtung keinen Polkörper gebildet. Aber die restlichen drei teilten sich, es gab 6fach-, 2fach- und 5fach-Teilung. Uns wurde durch Dr. Behrens noch erklärt, warum die Einsetzung heute schon erfolgt – Eizellen gehören nun mal in die Gebärmutter und ihre Chance zu überleben ist im menschlichen Körper doch irgendwie besser, als in der Schale.

Es gibt dafür keine belegbaren Zahlen, aber man setzt lieber potenzielle Kandidaten ein, als nach fünf Tagen zu sagen: Ist nichts geworden. Die 6fach und die 2fach-Zelle sollten eingesetzt werden, der Fünfer „sah irgendwie merkwürdig aus“. Auf einem Monitor wurden uns die beiden Zellen gezeigt, es stellte sich heraus, dass aus der 2fach-Teilung über Nacht eine 4fach-Teilung geworden war. Gutes Zeichen! Sie wurden eingesaugt und mittels Katheder eingesetzt. Es folgte noch die Überprüfung, ob sie wirklich drin waren. Da die erste Stunde am wichtigsten ist, dass sich die Zelle festsetzen kann, legte sich meine Frau in den Ruheraum und ich ging inzwischen die nächsten Spritzen holen, die wir im Drei-Tages-Rhythmus jetzt spritzen müssen. Diesmal wird es kniffliger – Lösung herstellen, mit dem Wirkstoff mischen und anschließend injizieren.

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Die zwei befruchteten Eizellen

Das sind die beiden Kandidaten die jetzt in den nächsten 14 Tagen unter Beweis stellen müssen, dass sie stark genug sind, um Mensch zu werden. Warum ich das Ganze aufgeschrieben habe? Weil ich Hoffnung machen möchte und weil ich mal aus der Sicht eines Mannes erzählen will, was da so passiert. Außerdem ist es doch ehrlich gesagt peinlich, wenn sich die Frau / Freundin mit „Mein Mann und ich…“ über Probleme erkundigt, die eigentlich nicht ihre sind, sondern die des Mannes. Für mich war / ist es auch hochinteressant, schließlich kann man hier auch noch jede Menge dazu lernen.

Also denke ich, dass das Wichtigste an der Entscheidung das Projekt durchzuziehen sind zwei Faktoren: 1. Akzeptieren, dass es mein Problem ist (auch wenn meine Frau was anderes sagt – es ist nun mal so), was zu 2. führt: Es nicht zu ihrem Problem werden lassen. Heißt im Klartext: helfen wo es nur geht und bei sämtlichen Dingen sich einbringen – von den Gesprächen / Untersuchungen (ist ja schon selbstverständlich will ich meinen) bis hin zu den Spritzen bzw. Medikamenten. Und wenn dich abends deine Hormon gebeutelte Frau, die Tennisball große Eierstöcke hat, immer noch anlächelt, hast du alles richtig gemacht.

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