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Zwei Welten

Jan 0
geschätzte Lesedauer: 4 Minuten

Ich habe mich nach einigen schweren Überwindungen mal wieder an ein Buch gewagt, dass in meinem Bücherstapel auf mich wartete. „Hard boiled wonderland und das Ende der Welt“ von Haruki Murakami wollte gelesen werden. Ich wußte nur, dass mich eine Mischung aus Fiktion und Realität erwartete, aber nicht, dass mich das Buch so fesseln würde. Interessant ist die Erzählweise, denn es werden zwei Geschichten parallel erzählt. Auf der einen Seite Hard boiled wonderland – die Realität in der Kampf um Daten entbrannt ist und andererseits das Ende der Welt, eine fiktionale Welt, in der alles perfekt zu sein scheint. Das Einzige, was beide verbindet, ist eine Person als Ich-Erzähler, der versucht mit dieser Welt zurecht zu kommen. Auch wenn mir abends die Augen schon fast zufielen, wollte ich hinter das Geheimnis steigen, was beide Geschichten verbindet. Und als ich las, wie die Geschichte ausging, konnte ich nicht einschlafen.

Und jetzt kommt der Spoiler. Wer nicht wissen will, was in dem Buch passiert, sollte an dieser Stelle aufhören weiterzulesen, denn jetzt kommt die Aufklärung, was sich hinter der Geschichte verbirgt.

Der Erzähler aus dem Hard boiled wonderland ist ein einsamer Mensch, der für das SYSTEM arbeitet, einer Organisation, die mit dem staatlichen Behördenapparat zu vergleichen ist. Dort arbeitet er als Zahlenjongleur, den man sich ausleihen kann, wie es ein alter Professor auch tut. Der Professor gibt ihm eine Aufgabe, die er nicht mit seinen normalen Mechanismen bearbeiten soll, sondern mit einem speziellen Programm, dass in sein Unterbewußtsein eingepflanzt ist. Das ermöglicht es Zahlen zu chiffrieren, ohne dass jemals der Code geknackt werden könnte, den nur der Verschlüssler kann die Daten wieder entschlüsseln und dann auch nicht bewußt. Nach der Arbeit beim Professor erhält er zum Dank einen Schädel eines Tier, der wie der eines Einhorns aussieht.

Das Ende der Welt ist eine perfekte Welt, in die der Erzähler eintritt und vom Wächter der Stadt eingewiesen wird. Seine Aufgabe ist es, Träume zu lesen. Dazu werden seine Augen so verändert, dass er nur noch nachts das Haus verlassen darf, weil er sonst erblindet. Mit dem Betreten der Stadt wird ihm auch sein Schatten entfernt und er muss fortan ohne Schatten leben. Die Stadt in der er lebt, ist von einer hohen Mauer umgeben, die nur Vögel überqueren können. Einzig der Wächter der Stadt kann betreten und verlassen. Der Erzähler arbeitet in einer Bibliothek, in der die Träume aufbewahrt werden. Dort wird er von einer Bibliothekarin unterstützt. Jeder in der Stadt hat einer bestimmte Aufgabe, die er erfüllt, ohne zu fragen, warum er die Aufgabe macht oder was der Sinn dieser Aufgabe ist. Also geht der Erzähler Abend für Abend in die Bibliothek und liest die Träume… aus den Schädeln von Einhörnern.

Das ist die Grundlage, mit der das Buch beginnt und ab diesem Zeitpunkt beginnen die Geschichten mehr und mehr zu verschmelzen, bis die Wahrheit ans Licht kommt: Der Professor hat früher beim SYSTEM gearbeitet und dort bei der Entwicklung von Algorithmen zur Verschlüsselung mitgewirkt. Der Erzähler aus dem Hard boiled wonderland war der einzige Überlebende eines Experiments, bei dem im Kopf des Subjekts ein abgeschotteter Bereich erzeugt wird, in die Verschlüsselung stattfindet. Dieser Bereich existiert neben dem normalen Denken und Handeln und dem sogenannten Psychokern. Zwischen dem Psychokern und der Verschlüsselung liegt ein Schalter der es ermöglicht bei Bedarf auf die Verschlüsselung zuzugreifen. Ebenso gibt einen Schalter der zwischen bewußtem und unbewußtem Denken umschaltet. Leider ist der einzige Fehler bei dem Experiment, dass der Schalter droht, wie eine Sicherung durchzubrennen, worauf der Erzähler auf ewig in seinem Psychokern gefangen ist. Er ist dann nicht tot, sondern nur Gefangener seiner eigenen erschaffenen Welt.

Diese Welt ist eine perfekte Welt, ohne Tod und Schmerzen, ohne Identität – das Ende der Welt. In der Zwischenzeit bereitet sich im Ende der Welt der Erzähler mit Hilfe seines Schattens auf die Flucht aus der ewigen Gefangenschaft vor. Das Buch beginnt an dieser Stelle noch spannender zu werden, als es ohnehin die ganze Zeit schon ist. Schließlich weiß man nun, dass die Geschichte vom Ende der Welt die Fortsetzung vom Hard boiled wonderland ist, aber von der Erzählung parallel läuft und man hofft mit der Flucht aus dem Ende der Welt gelingt es dem Erzähler den Schalter zu überbrücken. Dort wieder liegt eine Überraschung auf dem Weg, denn im letzten Moment entschließt sich der Erzähler des Hard boiled wonderland nicht mehr gegen sein Schicksal zu wehren, denn er stellt fest, dass die Welt, in der er lebt, nicht seine Welt ist und wenn, dann auch nur zum geringen Teil sein wird. Er ergibt sich seinem Schicksal und fällt in das Ende der Welt, wo man nun den Erzähler und seinen Schatten bei der Flucht begleiten darf. Doch mitten in der Flucht hält der Erzähler inne, weil er inzwischen weiß, dass dies seine erschaffene Welt ist, dass er die Verantwortung dafür trägt bzw. für alle, die darin leben, ganz besonders die Bibliothekarin, an die er inzwischen sein Herz verloren hat. Also bleibt er, auch auf die Gefahr, dass er vom Wächter für seinen Fluchtversuch bestraft wird.

Ein sehr außergewöhnliches Buch wie ich finde, denn es hat kein Happy End. Mich hat es sehr beeindruckt, dass ein Buch diese Wendung schafft, die gesamte Zeit spannend zu sein, sich auf einen Höhepunkt zuzuarbeiten und dann ein Ende zu finden, das überraschend, aber überhaupt nicht enttäuschend ist, sondern eigentlich sehr realistisch. Weil ich den Entschluss, in einer Welt zu leben, die zu einem passt, auch wenn man jeglichen Bezug zur Realität verliert, mutiger finde wie das Wagnis in einer fremden Welt zu leben, die nicht zu einem passt. Oder, um mal wieder eins meiner Lieblingszitate auszugraben „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“ Es ist kein Scheitern, sondern eine Entscheidung der Vernunft. Und genau das gefällt mir – der Erzähler handelt nicht, um andere zu beeindrucken, sondern intelligent. Und dieses Buch erfüllt seinen Zweck, weil man darüber nachdenkt, wieviele Entscheidungen man in seinem Leben trifft oder getroffen hat, nur um anderen zu imponieren oder einen Gefallen zu tun, sei es nun bewußt oder unbewußt und ob man dann genau an dieser Stelle in seinem Leben wäre, wo man derzeit ist oder seinem Traum ein Stück näher.

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